Lenken ohne zu denken...
...oder: wie sich das Motorrad in die Kurve legt.
Was in der Fahrpraxis nahezu automatisch abläuft und dem routinierten Fahrer wie von selbst von der Hand geht, entpuppt sich bei der Analyse im Detail als ein spannender und komplizierter Prozess. Die Grundlagen der Fahrphysik sollte sich jeder Biker verinnerlichen, denn sie sind ein wichtiger Baustein, um in der Praxis den Spaß an der Aktion, an der Dynamik, am Adrenalin intensiv zu erleben. Wer weiß, was es mit Schräglage, mit Umfangs- und Seitenkräften, mit Lenkimpulsen und Fahrwerksgeometrie auf sich hat, ist eher in der Lage, auch knifflige Situationen richtig einzuschätzen und entsprechend zu reagieren. Klar, die reine Theorie hilft im Ernstfall auch nicht weiter. Doch wer das erworbene Basiswissen gezielt trainiert, kann dieses in perfektes Fahrkönnen verwandeln.
„Ohne die Kreiselkräfte der Räder kippt das Motorrad einfach um.“ Was gemeinhin als einzige schlüssige Erklärung für das stabile Fahrverhalten eines Motorrads gilt, ist nur zum Teil richtig. Denn bei Schritttempo sind die Kreiselkräfte kaum messbar und schon gar nicht in der Lage, den relativ hohen Schwerpunkt eines Motorrads im Lot zu halten.
Jedoch lässt sich auch mit leicht gebremstem Hinterrad und feinfühligem Ein- und Auskuppeln bei Schritttempo gut geradeaus fahren.
Das Absolvieren einer punktgenauen, flüssigen Kurvenfahrt ist eine noch größere feinmotorische Höchstleistung des Fahrers, zumal der Mensch von Natur aus lediglich auf etwa 20 Grad Schräglage getrimmt ist. Mit Supersport-Motorrädern lassen sich bei entsprechender Übung dagegen Schräglagen von bis zu 50 Grad realisieren. Wie wir beim Geradeausbalancieren erkannt haben, genügen bereits geringste Änderungen des Lenkwinkels, um das Motorrad zu stabilisieren. Ganz ähnlich verhält es sich beim Kurvenfahren, das bei genauer Betrachtung nichts anderes ist als eine unbewusst eingeleitete Instabilität.
In der Regel besteht die Kurvenfahrt auf der Landstraße aus vier maßgeblichen Aktionen. Zunächst erfolgt die Anpassungsbremsung mit Einlenkpunkt. Dabei legt der Pilot aus einer mehr oder weniger starken Beschleunigungsphase oder hohen Geschwindigkeit den Bremsweg fest, der nötig ist, um exakt im Scheitelpunkt der Kurve die gewünschte Schräglage zu erreichen. Dieser höchst komplexe Vorgang geht in Sekundenbruchteilen vonstatten.